Es war ein ganz besonderer Grund, der die jungen Nachwuchstalente der Deutschen Streicherphilharmonie (DSP) im Rahmen der traditionellen Osterarbeitsphase diesmal nach Rheinsberg führte: Das 25-jährige Bestehen der dortigen Musikakademie wurde am 2. April mit einem Festakt gewürdigt, den das Spitzenensemble der Musikschulen musikalisch mitgestalten durfte. Und dies war kein Zufall, denn das Orchester war bereits zwei Jahre nach der Gründung der Akademie anlässlich deren Umwandlung in eine GmbH als musikalischer Gratulant vor Ort – 1993 noch als Deutsches Musikschulorchester unter Leitung von Jörg-Peter Weigle.
Johanna Staemmler war zu dieser Zeit gerade mal fünf Jahre alt. Neun Jahre später wurde sie als Geigerin in der Deutschen Streicherphilharmonie aufgenommen, wo sie vier Jahre lang den „DSP-Geist“ mitprägte. Heute ist sie Mitglied des preisgekrönten Armida Quartetts, das beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2012 mit dem 1. Preis, dem Publikumspreis sowie sechs weiteren Sonderpreisen ausgezeichnet wurde. Seitdem hat sich die Karriere des jungen Berliner Ensembles sensationell entwickelt.
Als „Rheinsberger Hofkapelle 2016“ war das Streichquartett ebenfalls in die musikalische Gestaltung des Festaktes in seiner Residenz eingebunden. Eine gelungene Zusammenführung von „Früher“ und „Heute“ oder besser: von „Ehemalig“ und „Aktuell“ bot dabei der dritte Satz des Mendelssohnschen Oktetts, den Martin Funda (1. Geige), Johanna Staemmler (2. Geige) und ihr Mann Peter-Philipp Staemmler (Cello) mit ausgewählten Mitgliedern der DSP spielten. Für Teresa Schwamm, die an diesem Tag nicht vor Ort sein konnte, übernahm Claudia Beyer, Dozentin der DSP, den Bratschenpart. Es war ein Zusammenspiel, das nicht nur die Gastgeber und Festgäste beeindruckte, sondern auch die beteiligten Profis: Chefdirigent Wolfgang Hentrich, das Armida „Trio“ und nicht zuletzt die Dozenten der weiteren Stimmgruppen, allesamt Mitglieder des Rundfunk- Sinfonieorchesters Berlin, deren engagierter, kontinuierlicher Arbeit mit den Nachwuchstalenten der herausragende, überaus homogene Klang des Ensembles wesentlich zu verdanken ist. Dieser Klang riss übrigens auch das Publikum beim Abschlusskonzert der Ostertournee im Lübecker Kolosseum faktisch von den Stühlen: Standing Ovations im bis auf den letzten Platz besetzten Saal haben hier, so der Veranstalter, Seltenheitswert.
Später nahm das Trio mitten im Orchester Platz und spielte das weitere musikalische Programm – darunter die selten gespielte Serenade nach schwedischen Volksmelodien von Max Bruch – der Deutschen Streicherphilharmonie mit. Eine charmante Familienzusammenführung gab es dabei bei den zweiten Geigen, wo sich Johanna Staemmler das Pult mit ihrer 16-jährigen Schwester Sophia teilte. Gefreut hat dies auch Paula, die als dritte Schwester Mitglied der aktuellen Cellogruppe des Orchesters ist.
Wie Johanna Staemmler die musikalische Wiederbegegnung mit „ihrem“ Orchester erlebte, was sich in den zehn Jahren seit ihrem Austritt dort verändert – oder eben auch nicht – hat, erzählt sie im Gespräch mit Brigitte Baldes, Projektleiterin der DSP.
Brigitte Baldes: Als 14-Jährige bist du Mitglied der DSP geworden. Welchen Einfluss hatten die dann folgenden vier Jahre im Orchester auf deine Entscheidung, Profimusikerin zu werden?
Johanna Staemmler: Den Wunsch, Musikerin zu werden hatte ich schon seit meiner Kindheit. Ich erinnere mich an ein Schlüsselerlebnis: Mit sieben Jahren hörte ich ein Bach-Violinkonzert und wusste: Ich werde Musikerin oder gar nichts. Das Musizieren in der DSP hat diesen Wunsch mit vielen praktischen Aspekten ausgeschmückt – alles wurde sehr viel realer. Ich hatte nun schon eine viel klarere Vorstellung davon, wie es sich anfühlt. Das Reisen, das Spielen und Kommunizieren in einer Gruppe, das unterschiedliche Repertoire, Blattlesen, auf einen Dirigenten reagieren… All dies sind Dinge, die man ja ohne ein Jugendorchester nicht automatisch kennenlernt. Dem sehr intuitiven Impuls aus den ersten Jahren konnte ich nun also eine ganz konkrete und mit Erfahrungen bereicherte Perspektive hinzufügen.
Baldes: Hast du es während deiner DSP-Zeit vermisst, dass aufgrund der reinen Streicherbesetzung – in der Regel – keine symphonischen Werke gespielt werden?
Staemmler: Alles, was ich lernen musste, um sehr gut in der Gruppe zu musizieren, konnte ich in der DSP lernen. Die Konzentration auf den Streicherklang, der besondere Zusammenhalt der Mitglieder und nicht zuletzt die phänomenale künstlerische Betreuung haben mich sehr überzeugt und waren eine enorme Bereicherung für meine Entwicklung.
Baldes: Zwei deiner Schwestern sind derzeit in der DSP. Bist du durch sie noch relativ nah am aktuellen Orchestergeschehen dran?
Staemmler: Ich höre natürlich von den schönen Probenphasen und Konzertreisen! Überrascht war ich, wie viele der Traditionen sich in einem Jugendorchester halten, obwohl sich die Besetzung eigentlich ständig ändert und kaum jemand länger als fünf Jahre Mitglied ist. Der „DSP-Geist“ – es gibt ihn wirklich!
Baldes: In Rheinsberg hast du nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder mit dem Orchester zusammengespielt. Gibt es Veränderungen, die dir besonders aufgefallen sind?
Staemmler: Natürlich ändert sich immer etwas mit der Zeit, und das ist auch notwendig. Ich habe den Eindruck, dass die DSP in Repertoirewahl und Programmgestaltung absolut mit der Zeit geht und offen für Projekte und Ideen ist. Die jungen Musiker sollen ja nicht die Asche bewahren, sondern die Flamme weiterreichen – dazu gehört auch eine Programmkonzeption, die am Nerv der Zeit ist.
Baldes: Gibt es etwas, das du aus den Erfahrungen deiner eigenen Orchesterzeit den heutigen DSPlern mit auf den Weg geben möchtest? Vielleicht etwas, was rückblickend für dich noch mehr Gewicht bekommen hat oder bekommen sollte?
Staemmler: Musik ist eine Sprache, die schönste und universellste Art der Kommunikation. „Musik verbindet“ – das ist keine leere Phrase, sondern in gewisser Weise die DNA der Musik. Musik erzählt von uns Menschen all das, was wir mit Worten nicht ausdrücken können. Sie bringt uns an einen Punkt, wo wir alle gleich ticken. Wer das schon mal erlebt hat, diesen Moment, wo man sich an einer Stelle anschaut und weiß, man fühlt gerade genau das Gleiche – es ist ein großes Glück, das mit so vielen Gleichgesinnten teilen zu können. Nicht selten entstehen daraus Freundschaften fürs Leben. Wer mit anderen gemeinsam Musik macht, muss sehr gut bei sich selbst sein und gleichermaßen flexibel mit allen interagieren, die außerhalb sind – dieser Vorgang ist so intensiv und so bereichernd. Neid, Angst oder Eitelkeit behindern dabei enorm und werden ersetzt durch Kommunikation, Inspiration und Vertrauen… Genießt jede Sekunde, die ihr mit anderen musizieren könnt! Das ist es, was uns zu Musikern macht!
Baldes: Werden wir auch die jüngste deiner Schwestern irgendwann in der DSP streichen sehen und hören?
Staemmler: Ich wünsche jedem Jugendlichen, dass er eine solch positive Erfahrung in der Gemeinschaft macht, wie ich es in der DSP machen durfte. Ich freue mich riesig, dass es auch meinen Schwestern Sophia und Paula so gut dort gefällt! Ob auch unsere jüngste Schwester Leonie in ein paar Jahren die DSP stürmt, ist noch abzuwarten …
Erschienen in der neuen musikzeitung nmz 5/2016.